Montag, 6. Dezember 2010

Die Kritikneurose

Wenn es um Israel geht, muss man in Deutschland vorsichtig sein. So lautet das Credo nicht weniger „kritischer“ Artikel und Fernsehbeiträge, wenn in Israel mal wieder etwas im Argen liegt. Denn Israelkritik sei in Deutschland nicht einfach: Sofort werde mit der Antisemitismuskeule gewedelt. Und außerdem müsse man als Deutscher eine besondere Sensibilität und auch Solidarität gegenüber Israel zeigen – wegen der Vergangenheit und so. Dieses Argument wird nicht selten sogar unsinnigerweise von Politikern und Journalisten gebracht, die als Israelfreunde gelten.

Mit der Realität hat diese leicht pathologische Selbstreflexion allerdings herzlich wenig zu tun. Das dürfte klar werden, wenn man sich die Berichterstattung in deutschen Medien zu einem beliebigen Thema mit Israelbezug ansieht. Oder die Umfragen, denen zufolge die Mehrheit der deutschen Bevölkerung Israel als größte Bedrohung des Weltfrieden ausgemacht hat. Oder die Tatsache, dass der deutsche Bundestag in einer historisch einzigartigen Geste der Geschlossenheit einstimmig die Aufhebung der Blockade Gazas forderte – von einer solchen Einstimmigkeit ist das Parlament ansonsten bei jedem anderen Thema, selbst wenn es um die schlimmsten Diktaturen und Terrorregime der Welt geht, meilenweit entfernt.

Israelkritik wird immer, überall und permanent in diesem Land geübt. Das Wort allein sagt viel aus über das Verhältnis der Deutschen zum Judenstaat. Ein solches Kompositum gibt es in der deutschen Sprache für kein anderes Land auf der Welt. Eine Google-Suche nach „Irankritik“ liefert 1.670 Ergebnisse und die Nachfrage „Meinten Sie: Iran Kritik?“. In Deutschland herrscht kein Kritikverbot, wie es so oft herbeiphantasiert wird, sondern eine Kritikneurose, ein geradezu pathologischer Zwang zur Kritik an der einzigen Demokratie im Nahen Osten, deren Schwächen und Probleme uns offensichtlich weit stärker umtreiben als gehängte Schwule und gesteinigte Frauen im Iran, inhaftierte und abgeschobene Regimekritiker in Kuba, drangsalierte Minderheiten in China oder massakrierte Flüchtlinge im Sudan.

Ein Paradebeispiel für diese Neurose bietet die „neutrale“ Berichterstattung der Tagesschau zu den verheerenden Waldbränden im Norden Israels, die bereits über 40 Menschenleben gefordert haben. Seit drei Tagen kann ARD-Korrespondent Oliver Mayer-Rüth in seinen Berichten über die Katastrophe sich partout nicht verkneifen, zynisch und arrogant darauf hinzuweisen, dass man ja eigentlich irgendwie selbst schuld sei. Zuerst hieß es unter Berufung auf israelische Kritiker, die weder in der Jerusalem Post, noch der Ha’aretz, noch der New York Times zu Wort kommen, dass bei der Feuerwehr zugunsten des Militärs gespart worden sei. In einem späteren Kommentar hat Herr Mayer-Rüth zwar offensichtlich begriffen, dass die Tagesschau sich nicht einfach Kritik ausdenken kann, die in Israel keine Rolle spielt. Aber ein Hinweis auf die Unfähigkeit der „Militärmacht“ bei der Katastrophenbekämpfung, der nichts bleibe als, „den Kameras die Jugendlichen vorzuführen, die das Feuer ausgelöst haben sollen“ (was in Deutschland bekanntlich unvorstellbar wäre) lag ihm offenbar am Herzen. Es stellt sich die Frage, warum diese Leidenschaft zur kritischen Berichterstattung selbst zu den unangemessensten Anlässen bei Erdbeben auf Haiti oder Überflutungen in Pakistan oder Ostereuropa größtenteils ausbleibt.

Aber die Feuerwehr in Israel war doch tatsächlich unfähig, ohne Hilfe der Lage Herr zu werden. Wie ließe sich da positiver berichten? Eine Antwort auf diese Frage bietet die New York Times, die in ihren Artikeln zum Thema wiederholt darauf hinwies, dass Israel bei Umweltkatastrophen häufig zu den ersten Staaten gehört, die (vor allem medizinische) Hilfe schicken. Man könnte auch auf Netanyahus Versprechen hinweisen, eine eigene Fliegerstaffel zur Waldbrandbekämpfung auszubilden, die dann der ganzen Region inkl. der Westbank zu Verfügung gestellt werde. Sätze wie diese wären in der Tagesschau jedoch undenkbar, schließlich ist man zur Neutralität verpflichtet – oder dem, was Herr Mayer-Rüth darunter versteht.


Nachtrag: Selbstverständlich ist es nicht nur Sache der Tagesschau, "kritisch" über einen Waldbrand zu berichten. Auch die SZ gesellt sich zur Reihe der Kommentatoren, die angesichts einer Naturkatatrophe nichts als Häme für die Betroffenen übrig haben. Kommentiert wurde der Kommentar hier bereits von SoE.

Samstag, 31. Juli 2010

Das Leid vor der eigenen Haustür

Fast eine halbe Million von ihnen wohnt zusammengepfercht in überfüllten Flüchtlingslagern. Als Bürger zweiter Klasse haben sie kein Recht auf Grundbesitz. Ohne Sondergenehmigung dürfen sie ihre Wohnorte nicht verlassen, und einige von ihnen können sich nicht einmal um eine solche Genehmigung bemühen, da sie keine Ausweispapiere besitzen und als illegale Einwanderer gelten. Aber auch denjenigen, die einen Paß besitzen, werden Grundrechte vorenthalten. So ist ihnen die Ausübung von 20 Berufszweigen verwehrt, darunter Medizin, Jura und Ingenieurwesen. Auch erhalten sie keinen Zugang zum Gesundheitssystem. Vor einigen Jahren wurde eines dieser Lager von der Armee umstellt und belagert. Dabei starben etwa 500 Menschen, darunter auch sechs UN-Mitarbeiter.

Die Rede ist von Palästinensischen Flüchtlingen. Um ihr Leid zu lindern, steht in der libanesischen Hafenstadt Tripolis ein Schiff bereit, um Hilfsmittel nach Gaza zu liefern, auch wenn es dafür die israelische Blockade durchbrechen müßte. Geleitet werden die ausschließlich weiblichen Teilnehmer dabei von einem „harschen Gefühl der Ungerechtigkeit“.

Fürwahr ein ziemlich einseitiges Ungerechtigkeitsempfinden, wenn man bedenkt, daß die oben beschrieben Flüchtlingslager sich nicht in Gaza befinden, sondern im Libanon. Aber dieser Form der omnipräsenten Nahost-Heuchelei geht es nicht um das Leid der Opfer, sondern um die einzigen und ewigen Täter.

Freitag, 28. Mai 2010

Eine andere Welt

Meine Woche in einer anderen Welt ist gerade zu Ende gegangen: Keine Begrüßung über eine Gegensprechanlage mit Überwachungskamera am Eingang, kein unfreundliches Sicherheitspersonal, kein Zaun mit Stacheldraht und kein Photoverbot. Kurz, die Atmosphäre im israelischen Staatsarchiv in Jerusalem ist durchaus angenehm; und das im wahrsten Sinne, denn die Klimaanlage gleicht lediglich die sengende Sonne vor dem Fenster aus, ohne gleich für arktische Kälte zu sorgen.

Hinzu kommt, daß ich endlich echtes Papier in die Hand bekam und nicht stundenlang auf eingescannte Dokumente starren mußte. Als ich einen Angestellten schüchtern fragte, ob ich die Quellen photographieren dürfe, schien er verwirrt über die Frage, und als ich dadurch ermutigt dann auch noch wissen wollte, ob ich gar meinen Laptop mit in den Leseraum nehmen dürfe, hat er mich ausgelacht.

Und als ich schon ganz begeistert, das vierzig Jahre alte Protokoll eines Treffens des ehemaligen israelischen Außenministers mit dem damaligen US-Präsidenten in der Linken, die Kamera in der Rechten, auf meinem Monitor las, es sei ein freier W-Lan-Internetzugang gefunden worden, fiel mein Blick zu meiner grenzenlosen Verzückung auf folgenden Hinweis an der Wand:


Angestellter/Forscher/Gast: Bitte bewahren Sie die Stille. Danke.

So macht Arbeiten doch Spaß - dachte ich mir, bis dann plötzlich eine Alarmsirene losheulte und alle freundlich aber bestimmt aufgefordert wurden, sich unverzüglich in den Bunker im Keller zu begeben.


angeleitet wurde die Übung von diesem freundlichen

Herrn (markiert) von einem von Israels geschätzt 178
Sicherheitsdiensten (wegen der Uniformfarbe tippe ich
mal auf eine Einheit der Grenzpolizei)

Diese Woche fand nämlich eine großangelegte Heimatschutzübung statt. Es ging also für zehn Minuten ab in den Keller. Nun habe ich nach all den Wochen im Archiv doch noch etwas erlebt, bevor ich nach Hause fliege.

Sonntag, 25. April 2010

Jom Ha-Azma'ut - Unabhängigkeitstag

Eigentlich sollte ich ja am 19. April zurück nach Israel fliegen, am Jom Ha-Sikaron, dem "Gedenktag an die gefallenen israelischen Soldaten und die Opfer des Terrorismus". Zu spät, um die Sirene mitzuerleben, aber rechtzeitig für den am Abend beginnenden Jom Ha-Azma'ut, den 62. israelischen Unabhängigkeitstag.

Leider wollte der blöde Vulkan, daß ich die Feiern in den Straßen von Tel Aviv verpasse. Als ich nachts um vier das Grundstück zu meiner Wohnung betrat, bekam ich aber zumindest noch einen Eindruck, wie's hier wohl ausgesehen hatte:


Und auch jetzt noch wirkt das Straßenbild irgendwie verändert.










Gut, Flaggen sind hier eigentlich immer ziemlich gegenwärtig, aber das

ist dann doch ziemlich auffällig.

Dienstag, 20. April 2010

Zürcher Intermezzo - Teil II

Ob meine Reisen nach Israel auf mich abfärben? Der Flughafen Zürich hat darum gebeten, daß heute ausschließlich Gäste mit gültigen Buchungen zum Flughafen kommen. Folglich habe ich brav versucht, telephonisch meinen Flug umzubuchen. Das erwies sich als unmöglich, weil bei der Hotline einfach kein Durchkommen war. Eine kurze Prüfung der Onlinebuchungsmöglichkeiten wies mir für Freitag den ersten buchbaren Flug aus. Damit wollte ich mich schon abfinden, doch bin ich dann doch noch in den Bus gestiegen und zum Flughafen gefahren. Im Gepäck meine Kamera, um das Chaos und die Menschenmassen vor den Schaltern zu dokumentieren.

Doch da habe ich wohl die Rechnung ohne die Schweizer Mentalität gemacht. Kein Gedränge, keine Panik, kein Sturm auf die Vertreter der Airlines. Stattdessen stand ich eine knappe halbe Stunde in einer Schlange und bekam dann ohne große Diskussion einen Platz in einem Flieger nach Tel Aviv reserviert. Abflug ist noch heute nacht. Manchmal bringt es also etwas, sich nicht an die Regeln zu halten bzw. den Kontakt von Angesicht zu Angesicht zu suchen. Gut, als waschechter Israeli hätte ich vermutlich an der Schlange vorstürmen und die Dame am Schalter anbrüllen müssen, aber ich kann mich ja nicht von jetzt auf gleich vollkommen Entgermanisieren. Dem würde der Kellner aus der Bar gestern sicher zustimmen, der mich mit "hey Deutscher" ansprach, bevor er nachfragte, welche Größe mein Getränk haben sollte.

So verlasse ich also schon sehr bald das Land des lustigen (und gelegentlich kaum verständlichen) Dialekts, des unbezahlbaren öffentlichen Nahverkehrs und der Unmöglichkeit des einen-einzigen-Schritt-Tuns-ohne-irgendwo-eine-Bank-zu-Sehen und auch die
pittoreske WG mit dem Charme eines rustikalen Bauernhauses auf dem Land, in der ich die letzten zwei Tage gewohnt habe.

Ein Teil dieses Charmes war der Stille geschuldet,
die ungestörtes Arbeiten auf dem Balkon ermöglichte. Seit heute früh merkt man jedoch wieder, daß das Haus quasi direkt neben dem Flughafen steht. Und schon fühle ich mich an den Kühlschrank in Kirjat Ono erinnert...

Montag, 19. April 2010

Zürcher Intermezzo (unfreiwillig)

Nachdem ich heute mein Hotelzimmer am Flughafen Zürich räumen mußte, wurde mir glücklicher- und netterweise in der WG einer Schweizer Bekannten in Rümlang bei Zürich Zuflucht gewährt. Ich bin froh, daß mir damit das Schicksal vieler anderer erspart blieb, die auf irgendwelchen Flughäfen festsitzen und zwischen ihren Koffern liegend darauf hoffen, daß der Eyfja… Eyjafjallflayla… Eyjafjallakölulöluuulklulukjölldingsberg mal endlich Ruhe gibt. Aber auch ohne Hotelkosten ist dieses Land teuer genug, und so bleibt die legendäre Schokolade pekuniär unerreichbar in der Auslage glitzernder Edelschokolaterien (mag sein, daß so ein Wort eigentlich gar nicht existiert. Dann hab ich’s eben jetzt erfunden).


Trotz gesicherter Wohnsituation macht es keinen Spaß, alle acht Stunden über eine weitere Verlängerung der Sperrung des Schweizer Luftraums informiert zu werden. Eine Planung, wie ich nun letztendlich nach Israel kommen soll, ist so kaum möglich, da ich beständig hoffe, daß die Flieger bald von Zürich aus wieder starten werden. Sollte sich bis morgen früh nichts geändert haben, werde ich aber wohl in Erwägung ziehen müssen, mit dem Zug nach Österreich oder Süddeutschland zu fahren, um dann mit einer anderen Gesellschaft durch die Wolke des grauenhaften vulkanischen Todes zu fliegen – bis ich mich dann endlich in der Sicherheit der Reichweite syrischer Scud-Raketen in Händen libanesischer Vollbartträger wissen darf. Immerhin erstattet mir die Swiss das Geld für das Flugticket zurück. Eine feine Geste, die mich die Verspätungen meiner letzten beiden Swiss-Flüge nach Zürich und Hannover vor knapp zwei Wochen großzügig vergessen läßt.


... to be continued ... glaube ich

Montag, 5. April 2010

Bebilderter Pessachgruß aus Kirjat Ono

Als vor knapp 3500 Jahren die Hebräer aus Ägypten auszogen, waren sie ziemlich in Eile. Deswegen hatten sie beim Brotbacken keine Zeit mehr, den Teig gehen zu lassen. Dummerweise fand dieses kleine kulinarische Detail irgendein Chronist so bemerkenswert, daß es Eingang in die Bibel fand. Und deswegen lebe ich armer Goi in Israel seit einer Woche ein tristes, brotloses Leben. Denn es ist Pessach, und an religiösen Feiertagen verurteilen diejenigen, die das mit den Geschichten von vor tausenden von Jahren ein bißchen zu ernst nehmen, den Rest der Bevölkerung mit freundlicher Unterstützung des säkularen Staates, arme Touristen in rein jüdischen Wohnvierteln eingeschlossen, zur Kollaboration bei ihren merkwürdigen Bräuchen, die irgendwie fast immer nur daraus bestehen, auf etwas zu verzichten, das Spaß macht oder lecker ist (Purim bildet da wohl eine Ausnahme). Aber im Moment ist ja ohnehin Hochsaison für die Bekloppten der verschiedensten Denominationen.

Iß doch Matze (nicht Herrn Wittschieben!) zum Frühstück, mit Nuß-Nougat, riet mir meine Mutter.
Denn trockenes Knäckebrot ohne Geschmack kannten die Juden schon, bevor der erste Ur-Schwede herausfand, daß man scharfe Gegenstände nicht nur wunderbar in andere Menschen reinstecken, sondern auch dazu verwenden kann, sich den Urwald aus dem Gesicht zu schneiden. Gesagt, getan (also das Mazze-Essen, nicht das Zotteln-Abschneiden), aber da könnte man sich auch ein dünnes Holzbrett mit Nuß-Nougat bestreichen. Der Beitrag des Mazze-Brots zum Gesamtgeschmack ist etwa vergleichbar, nur funktioniert die Verdauung da besser als bei Zellulose.

Muß ich also auf alternative Nahrungsmittel ausweichen. Ha! Von wegen! Es wäre kein jüdischer Feiertag, wenn man seinen Unannehmlichkeiten so leicht entgehen könnte. Denn um alles richtig zu machen – man weiß ja nie, was der verrückte Alte da oben so im Sinn hat – verzichtet man vorsichtshalber gleich auf alle Nahrungsmittel, die irgendwie „gehen“ könnten (also Teigwaren, aber auch Reis! und sogar Hülsenfrüchte), und zwingt auch alle anderen zum Verzicht. Im Supermarkt sieht das dann so aus.











Um mich von diesem Schock zu erholen, suchte ich bei einem Spaziergang nach den schönen Seiten meiner Nachbarschaft – und fand auch einige.









Neben den hier überall blühenden, leuchtend bunten Bouganvillae stieß ich auch auf einen netten Park. Gan Ha-Giborim heißt er, Heldengarten.
















Solche Kriegerdenkmale gibt es ja auch in Deutschland, aber die Panzer im Sonnenuntergang fand ich dann doch etwas martialisch.

Bei genauerem Hinsehen findet sich dann jedoch die Friedensbotschaft des Parks. Hier wird der Gefallenen der Kriege gedacht in der Hoffnung, daß es keine Kriege mehr geben wird.


Alles in allem ist mein Viertel hier eigentlich ganz schön.

Samstag, 20. März 2010

Ein paar Gedanken aus Kirjat Ono

Ich habe mich mittlerweile einigermaßen eingelebt, hier in meiner kleinen Wohnung in Kirjat Ono. Da sich meine 36 Quadratmeter allerdings im Keller befinden, muß ich mich zumeist mit dem ausgesprochen ungemütlichen, kalten Licht nackter Energiesparlampen abfinden. Außerdem ist es ganz schön kalt. Während draußen also die Sonne scheint und ich am Wochenende im Garten in der Sonne brate, sitze ich unter der Woche entweder in einem unterkühlten Archiv oder in meiner unterkühlten Wohnung. Somit ergaben sich für die ersten Tage als wichtigste Punkte auf dem Einkaufszettel: Pulli, Lampenschirme, Topfpflanzen.

Schön wäre es auch, wenn ich den gewaltigen Kühlschrank, den man hier auf dem Bild sieht, irgendwie dazu bringen könnte, nicht so einen Lärm zu machen. So muß ich immer warten, bis der Kompressor kurz Pause macht, um dann ganz schnell einzuschlafen, bevor er wieder anspringt.


Zuerst aber erst einmal ab ins Einkaufszentrum, und siehe da: Nichts. Kein Blumengeschäft und auch kein Einrichtungsgeschäft. Vergebens suchte ich nach einem Laden mit dem üblichen Nippes, um die Wohnung etwas zu verschönern. Kein israelisches Nanu Nana weit und breit. Außerdem mußte ich feststellen, daß israelische Männer offensichtlich keine Kleidung benötigen. Das zumindest muß man aus den Geschäften im hiesigen Einkaufszentrum schließen, die beinahe ausschließlich Klamotten für Frauen verkaufen. Doch auch dieses Angebot scheint nicht empfehlenswert zu sein, denn modisch ist Israel im Winter keine Reise wert. Eine Mischung aus alten Schlabberpullis und Leggins oder zu engen oder auf irgendeine Art nicht sitzenden Jeans begegnen mir hier überall. Noch nie habe ich so viele furchtbare Hosen gesehen wie im winterlichen Israel. Vielleicht ist das ja der Grund, warum vor knapp zwei Wochen bei der Eröffnung der ersten H&M-Filiale in Tel Aviv beinahe eine israelische Mode-Intifada ausgebrochen wäre.

Auf die mangelnde Auswahl an Männerpullovern im Einkaufszentrum angesprochen, antwortete mir mein Vermieter, er kenne sich mit so etwas nicht aus, seine Frau kaufe ihm seine Kleidung. Danach habe ich meine Fragen nach Zimmerpflanzen, Lampenschirmen und Kerzen runtergeschluckt ich hatte plötzlich die Befürchtung, falsche Vermutungen zu wecken.
Einige weitere israelische Eigenheiten sind mir in den letzten Tagen und Wochen aufgefallen, die mir erwähnenswert scheinen:

Pssst, das ist eine Bibliothek

Ich sitze jeden Tag sieben bis acht Stunden im israelischen Militärarchiv. Um auf das Gelände zu kommen, muß ich in eine Überwachungskamera gucken und meinen Namen in eine Gegensprechanlage sagen. Dann werde ich am Empfang nach einer Waffe und oder Kamera gefragt. Beides müßte ich abgeben, bevor ich den Lesesaal betreten darf. Jetzt hat der geneigte Leser bestimmt ein Bild vor Augen: ein großer Raum mit Bücherregalen an den Wänden, Tische mit kleinen Leselampen, an denen Leute sitzen und angestrengt in alten Akten blättern, das leise Kratzen von Bleistiften auf Papier. Von wegen! Aus dem Nebenraum dringt lautes Singen durch die Wand, eine Gruppe Soldatinnen schäkert lachend mit dem Sicherheitspersonal und im Lesesaal brüllen mehrere Leute gleichzeitig in ihre Handys. Als ich neulich telephonieren mußte, habe ich mein ausgeschaltetes Handy aus dem Spind geholt und dann zum Reden das Gebäude verlassen. Das war für den Sicherheitsmann am Empfang vermutlich genauso unverständlich wie die Tatsache, daß ich ihm jeden Tag einen guten Morgen wünsche und mich mit „auf Wiedersehen“ verabschiede. Und das auch noch, nachdem er mich einmal, als ich wiederholt auf seine Frage zu leise und wohl in zu undeutlichem Hebräisch geantwortet hatte, durch die Gegensprechanlage so angeschrieen hat, daß ich kurz aber intensiv darüber nachgedacht hatte, ob ich heute statt zu arbeiten nicht doch lieber weinend weglaufen und mich irgendwo verstecken sollte.

Darf’s ein bißchen mehr sein?

Brot in Packen von 500 Gramm? Nix da. Drei oder vier tiefgefrorene Hähnchenschnitzel in einer Packung. Von wegen. Israelische Supermärkte richten sich ganz offensichtlich an Großfamilien als wichtigste Zielgruppe. Als jemand, der nur für sich allein einkauft, stehe ich immer wieder verzweifelt vor den Regalen und suche nach kleinen Portionen. Ich frage mich, wie das die Studenten hier machen. Ob die alle in Wohnheimen oder WGs wohnen? Und kann mir jemand sagen, wie ich jemals die 32 Rollen Klopapier aufbrauchen soll?

Aber nicht nur die Produkte gibt es in großen Mengen – auch die Mitarbeiter. Im Supermarkt des Einkaufszentrums sind fast immer mindestens fünf Kassen besetzt, selbst wenn kaum Kunden im Laden sind. Doch diese für jeden Deutschen eigentlich wunderbar erfrischende Tatsache wird dadurch getrübt, daß die Damen an der Kasse mit einer derart quälenden Langsamkeit arbeiten, daß ich mich jedes Mal wieder ärgere, bereits des Hörbuch ausgeschaltet zu haben, als meine erste Milchpackung eingepiepst wurde. Bis zum Joghurt hätte ich Moby Dick bestimmt noch geschafft. Jede Aldikassiererin ist schneller als fünf dieser dicken Russinnen zusammen.

Ob das der Grund ist, warum manche Leute einfach in der Mitte ihres Einkaufs schon mal ihren Wagen in die Schlange stellen, um ihn dann nach und nach in aller Seelenruhe zu füllen. Gut, auf mich wirkt das eher wie ein dreister Versuch, sich vorzudrängeln…

Winter – arktische Kälte

Ich hab letztlich doch noch einen Pullover gefunden – aus Fleece. Hätte nicht gedacht, daß man so etwas in Israel überhaupt braucht, aber da hatte ich mal wieder die Leistungsfähigkeit israelischer Klimaanlagen unterschätzt. Währenddessen ist draußen vor dem Fenster nach meinem Empfinden längst Sommer. Vorgestern jedoch hat es noch einmal geregnet. Es war auch ziemlich windig, so daß die 20 Grad sich etwas kühler angefühlt haben. Trotzdem fand ich die Daunenjacken, die mir auf der Straße begegnet sind dann doch etwas übertrieben.

Dienstag, 9. März 2010

Der ewige Aggressor – Ein Rückblick auf den Sinaikrieg 1956


Am 29. Oktober 1956 sprang ein Bataillon von Ariel Scharons Fallschirmjäger-Brigade über dem östlichen Zugang zum Mitla-Paß auf dem Sinai ab und eröffnete damit die „Operation Kadesch“ gegen Ägypten. Zuvor hatte Israel Truppen an der Grenze nach Jordanien zusammengezogen – ein Ablenkungsmanöver, das den Eindruck erwecken wollte, Israel plane eine großangelegte Vergeltungsaktion gegen aus Jordanien operierende Terroristen. Tatsächlich waren die Ägypter verwirrt und wußten die Aktion der israelischen Streitkräfte auch am nächsten Tag noch nicht einzuschätzen. Selbst als klar wurde, daß Ägypten das Ziel war, hielt man die Aktion zunächst für einen begrenzten Schlag gegen die Fedajin (vornehm für Terroristen), was der israelische Angriff auf Gaza, die Hochburg der ägyptischen Terroristen, zu bestätigen schien. Tatsächlich kämpfte sich jedoch Scharons Brigade bereits zu seinem Bataillon in die Mitte der Halbinsel vor, flankiert im Norden und Süden von weiteren Verbänden. Ein hinterhältiger Überfall also, noch dazu im Einvernehmen mit Großbritannien und Frankreich, die kurz darauf ebenfalls in das Geschehen eingriffen?


Diplomatischer Krieg gegen Israel


Zu diesem Schluß mag kommen, wer die Vorgeschichte des Angriffs nicht kennt. Diese beginnt mit dem Abschluß des Waffenstillstands 1949 zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Nach der Präambel dieses Vertrags sollte der Waffenstillstand zu einem dauerhaften Frieden führen. Israel war bereit dazu und schickte eine voll autorisierte Delegation zur Konferenz von Lausanne, die neben Freundschaftsgarantien und Grenzmodifikationen auch die Zahlung von Entschädigungen und die Aufnahme von bis zu 100.000 palästinensischen Flüchtlingen anbot. Die arabische Delegation weigerte sich, auch nur mit den Israelis zu sprechen (wie bereits in der Round Table Conference in Whitehall 1939, in der die Araber nicht einmal den gleichen Eingang benutzen wollten wie die Juden).


Zwischen 1949 und 1956 gab es diverse israelische Friedensinitiativen, mal in Form eines Briefes des Außenministers Scharett an den Vorsitzenden des Palestine Conciliation Committee, mal in Form von Reden David Ben Gurions oder Abba Ebans vor der UN-Vollversammlung.


Die Araber reagierten mit einem Boykott sämtlicher UN-Unterorganisationen, an denen israelische Delegierte teilnahmen (UNESCO, WHO, UNICEF etc.). Israelischen Konferenzteilnehmern wurde die Einreise verweigert, und Jordanien und Libanon lehnten sogar jüdische, nicht israelische UNESCO-Berater ab. Bei einer Konferenz der WHO zu Seuchen im Nahen Osten wurde Israel ausgeschlossen; gleiches geschah bei einer UNESCO-Veranstaltung in Kairo. Für beide Organisationen zahlt Israel selbstverständlich Beiträge.


Wirtschaftskrieg gegen Israel


Zu diesem diplomatischen gesellte sich ein vollständiger Wirtschaftsboykott Israels, verbunden mit der Sperrung des Suez-Kanals und des Golfs von Akaba für Schiffe, die mit Israel Handel trieben. Schiffe wurden unter Verstoß gegen das Seerecht nach Waren durchsucht, die für Israel bestimmt sein könnten. Zwar forderte eine Resolution des UN-Sicherheitsrats im September 1951 ein Ende dieser Praxis, doch wurde sie von jedem ignoriert und von keiner Macht eingefordert. Es kam zu Beschlagnahmungen aller möglicher für Israel bestimmter Waren (z.B. Autos, Motorräder, Fleisch) und sogar zur Inhaftierung des israelisches Besatzungsmitglieds eines schwedischen Frachters. Auch führte eine Schwarze Liste von Schiffen, die jemals mit Israel verkehrt hatten, dazu, daß diesen in ägyptischen Häfen Reparaturen verweigert wurden und ihre Besatzungen nicht von Bord gehen durften. Zur Sicherung der Straße von Tiran wurden Sharm el Sheikh und Ras Nasrani von allen Zivilisten evakuiert und zu rein militärischen Stellungen umgebaut.


Zwar durfte die Meerenge noch immer von „Unschuldigen“ passiert werden. Das hielt die Ägypter jedoch nicht davon ab, gelegentlich auf vorbeifahrende Schiffe zu feuern, wie auf die amerikanische „Albion“ und die britische „Anshun“, die muslimische Pilger nach Mekka transportierte.


Einen Boykott zionistischer Güter gab es bereits 1945. 1949 wurde er ausgeweitet: Keine Firma, die mit Israel Handel trieb, durfte in arabischen Staaten wirken, Mexiko wurde gewarnt, kein Öl mehr an Israel zu liefern, und amerikanische, britische und niederländische Firmen wurden aufgefordert, Fragebögen zu ihrer jüdischen (nicht israelisch wohlgemerkt) Belegschaft auszufüllen, bevor sie mit arabischen Staaten handeln durften.


Kein Flugzeug, das israelischen Luftraum durchquerte, durfte arabische Länder überfliegen. Saudi Arabien erklärte, jedes Flugzeug abzuschießen, das zuvor in Israel gelandet war, und arabische Flughäfen verweigerten sogar die Landeerlaubnis, wenn ein Flugzeug den israelischen Flughafen Lydda auch nur angefunkt hatte. Als eine Maschine der Air France von Rom nach Lydda an den Flughafen Beirut einen Triebwerkschaden meldete und Höhe verlor, weigerte sich Beirut, Landeerlaubnis zu erteilen. Nicht einmal Fluginformationen wollte man mitteilen. Der Flieger schaffte es glücklicherweise trotzdem nach Lydda. Israel zahlte darauf keinesfalls in gleicher Währung zurück. Nachdem eine Air India-Maschine wegen schlechten Wetters in Israel notlanden mußte, wurde der ägyptische Diplomat, der sich an Bord befand, kostenlos in einem Flughafenrestaurant (das er allerdings nicht verlassen durfte) bewirtet. Der israelischen Presse teilte er mit, er sei sehr freundlich behandelt worden, um dann nach der Landung in Kairo öffentlich seine brutale Behandlung im jüdisch besetzten Palästina zu beklagen.


Terrorkrieg gegen Israel


Schon dieses Verhalten konnte für Israel (und eigentlich mehr noch für die Staatengemeinschaft) nicht hinnehmbar sein. Doch gingen die arabischen Staaten darüber hinaus noch mit Gewalt gegen den jüdischen Staat vor. Allein zwischen 1948 und 1950 wurden 2494 Infiltrationsversuche mit Grenzzwischenfällen gezählt. Israel hatte 360 Tote (darunter viele Zivilisten) und 733 Verwundete zu beklagen. Und danach kamen die Fedajin, von Ägypten aus befehligt, ausgebildet und bezahlt, von Nasser belohnt und gerühmt. Keiner ihrer Angriffe war auf militärische Ziele gerichtet. Allein im April 1956 ermordeten die palästinensischen Terrorbanden 15 israelische Zivilisten, darunter drei Schulkinder. In Verbindung mit den vielen Grenzscharmützeln mit Jordanien und den regelmäßigen Beschießungen israelischer Fischer und Wasserpolizisten auf dem See Genezareth durch syrische Soldaten konnte von einem Waffenstillstand schon lange keine Rede mehr sein. (Eine lange Liste mit Zwischenfällen findet sich bei Jehuda Wallach, 1999 auf S. 183ff).*


All dies hat Ägypten stets damit begründet, daß es sich weiterhin im Krieg mit Israel befinde und lediglich von Kriegsrechten gebrauch mache. Konkret erklärte der Sprecher des ägyptischen Außenministeriums am 13. Juni 1949: „We are still in state of war with the Jews even though the Egyptian Army has ceased to fire“. Ähnlich Außenminister Mahmoud Fawzi im August 1951: „The Egyptian-Israeli General Armistice Agreement does not include any provision on the termination of the legal or technical state of war between Egypt and Israel” (United Nations Bulletin, Bd. XI, Nr. 4, Sek. I, 15 August 1951, S. 121).**


Daß der Sicherheitsrat 1951 erklärte, der Waffenstillstandsvertrag habe den Kriegszustand beendet und nähme damit Ägypten das Recht, Israels Durchfahrt durch den Sues-Kanal und die Straße von Tiran zu blockieren, focht Nasser nicht an, war doch niemand bereit, die Rechte Israels durchzusetzen. In Vorbereitung auf die Fortführung des nie beendeten Kriegs kaufte Ägypten im September 1955 in großem Stil Waffen aus der Tschechoslowakei. Im Januar 1956 zog Syrien nach. Im Mai schloß Ägypten einen Vertrag mit China, das nun ebenfalls zum Waffenlieferanten im Nahen Osten avancierte, und ein Sprecher der ägyptischen Regierung verkündete bereits im Februar 1956 stolz, die neuen Waffen stünden an der Grenze bereit zum Einsatz gegen Israel. Auf diesen hatte man sich im Oktober 1955 mit einem Bündnis mit Syrien vorbereitet, dem im April 1956 Saudi Arabien und der Jemen und im Oktober 1956 schließlich Jordanien beitraten. Dessen König hatte sich im gleichen Monat bereits über die Truppen gefreut, die ihm aus dem Irak geschickt worden waren.


Erst als Nasser den Sues-Kanal verstaatlichte, reagierte die Staatengemeinschaft. Die Briten luden zu einer Konferenz nach London ein, vergaßen dabei allerdings die Israelis, die bis dato einzige betroffene Nation.


Zu diesem Zeitpunkt sah sich Israel isoliert und von Feinden umgeben. Da nimmt es nicht wunder, daß die Möglichkeit eines gemeinsamen militärischen Vorgehens mit Frankreich gegen Ägypten erleichtert aufgenommen wurde. Denn daß ein solches Vorgehen notwendig war, stand für Israel längst außer Frage. 1949 hatte man fünf eindeutige casus belli definiert:


  1. "Untergrabung des normalen Lebens in Israel durch Terrorakte
  2. Sperrung der See- und Luftrouten im Golf von Elat,
  3. drastische Veränderungen im Waffengleichgewicht zwischen Israel und den arabischen bewaffneten Streitkräften,
  4. Auftreten von Expeditionsstreitkräften anderer arabischer Staaten im Königreich Jordanien (in der Hauptsache irakische und syrische),
  5. Gründung eines militärischen Dreierpacktes zwischen Ägypten, Syrien und Jordanien und Schaffung eines gemeinsamen arabischen Oberkommandos."*


Im Oktober 1956 war jeder einzelne dieser Kriegsgründe erfüllt. Und so trat Israel letztlich in einen Krieg ein, den seine arabischen Nachbarn ohnehin schon seit Jahren führten.




Nachtrag

Obwohl Frankreich, Großbritannien und Israel sich in Geheimverhandlungen gemeinsam zum militärischen Schlag gegen Ägypten entschieden hatten, kämpften sie doch verschiedene Kriege (das Wort Sues sucht man in israelischen Bezeichnungen des Kriegs vergebens). Israel hatte klar definierte, begrenzte militärische Ziele, die es auch erreichte. Zwar wurden die israelischen Streitkräfte durch internationalen Druck dazu genötigt, sich aus den eroberten Gebieten zurückzuziehen, doch konnte Israel die wichtigsten Ziele sichern, indem eine internationale Schutztruppe die abziehenden Israelis ersetzte und fortan (zumindest bis 1967) als Puffer diente und indem israelischen Schiffen die Nutzung der Straße von Tiran garantiert wurde. Die ehemaligen Großmächte hingegen verfolgten politische Absichten, nämlich den Sturz Nassers und die Verhinderung der Verstaatlichung des Suez-Kanals mit militärischen Mitteln, was wie so oft in der Geschichte scheiterte.


Anderer Konflikt, gleiches Muster.





* Jehuda Wallach, Das internationale Krisenjahr 1956 und der Nahe Osten. Die israelische Sicht, in: Winfried Heinemann, Das internationale Krisenjahr 1956. Polen, Ungarn, Sues. München 1999.

** beide Zitate nach Robert Henriques, One Hundred Hours to Suez. An Account of Israel's Campaign in the Sinai Peninsula, London 1957.




Montag, 1. März 2010

Der mächtige Gott des Atheismus schützt vor schwarzer Magie

Toll!
Ich fühle mich gleich sicherer.

Zur Erklärung für Lesefaule: Ein indischer Skeptiker hat den angeblich mächtigsten Tantra-Schamanen Indiens herausgefordert, ihn live im Fernsehen totzuzaubern. Der Schamane hatte verkündet, er könne mit Hilfe seiner Magie jeden beliebigen Menschen innerhalb weniger Minuten ins Jenseits befördern. Die Sendung dauerte zwei Stunden; danach gab's eine Revanche von weiteren drei Stunden. Der Skeptiker blieb quicklebendig. Die Behauptung, er stehe unter dem Schutz eines mächtigen Gottes, wies der Skeptiker zurück mit dem Hinweis, er sei Atheist.

Jetzt auch auf Deutsch nachzulesen.

Dienstag, 19. Januar 2010

ZEITgemäße Logik: Wenn Abbas nicht will, muß man Netanjahu zwingen

Wieder einmal wagt sich ein ZEIT-Kommentator hervor, um zu erklären, was im Nahen Osten eigentlich falsch läuft. Und wieder einmal steht fest: Wenn's im Friedensprozeß nicht vorangeht, ist Israel Schuld.

Die Einseitigkeit beginnt schon im allerersten Satz: Da wird bemängelt, daß der Gaza-Krieg nichts gelöst und schon gar nicht den Frieden gebracht habe. Das ist unbestritten wahr, allerdings fragt sich, wie man sich das allen Ernstes überhaupt von einem Angriff auf den Gaza-Streifen erhoffen konnte bzw. ihm das gar nachträglich zur Aufgabe machen kann. Die Israelis haben jedenfalls Ende des letzten Jahres keinesfalls versprochen, mit ihrer Militäraktion den Frieden zu bringen. Die Ziele waren offen und klar: Abschreckung wiederherstellen, Bürger gegen Raketenangriffe verteidigen, Hamas vermöbeln. All das ist mehr oder weniger gelungen. Jetzt einen Artikel damit einzuleiten, der Krieg habe die Probleme mit den Palästinensern nicht gelöst, ist so als würde man die Vorstellung des neuen VW-Golf mit dem Satz einleiten: "Den Klimawandel hat der neue Golf bisher nicht aufgehalten". Ja, das stimmt, schön daß das angesprochen wurde.

Im zweiten Satz geht's genauso deppert weiter. Netanjahus Regierung hat sich immer und bei jeder Gelegenheit zu Verhandlungen ohne jegliche Vorbedingungen bereit erklärt, sie hat den Siedlungsbau gestoppt nicht vollständig, das stimmt (zum Beispiel werden angefangene Bauprojekte fortgeführt, und Ostjerusalem wird ausgeklammert), aber immerhin doch umfangreicher als jemals irgendeine israelische Regierung zuvor, inkl. der famosen Friedensregierung Rabins, die die vielgerühmten "Fortschritte in den neunziger Jahren" in die Wege geleitet hat, und sie hat sich öffentlich und unwiderruflich zur Einrichtung eines Palästinenserstaates bekannt. Auch das sucht man in dieser Deutlichkeit bei früheren Regierungen vergebens. Auf der anderen Seite haben wir einen Palästinenserpräsidenten, der sich weigert, mit der israelischen Regierung auch nur zu reden, wenn diese nicht zuvor einen Haufen Bedingungen erfüllt. Auch das ist bisher beispiellos und dazu auch noch ziemlich absurd, denn eigentlich sollte das Ergebnis von Verhandlungen nicht zu deren Bedingung erklärt werden. Das ist nämlich nicht nur unfair, es macht die Verhandlungen auch ziemlich sinnlos.

In diesem Zusammenhang erkennen zu wollen, Israel sehe die Palästinenser nicht als ernsthaften Verhandlungspartner an in einer Situation in der genau umgekehrt der Fall ist, daß die Palästinenser Israel in überhaupt gar keiner Weise als Verhandlungspartner (ob ernsthaft oder eher lustig) anerkennen, das deutet schon auf eine gewaltige Dosis Realitätsverlust hin und läßt insgesamt darauf schließen, daß der Autor seine Bewertungen nicht von tatsächlichen Handlungen und Äußerungen abhängig macht, sondern sich auf sein grundsätzliches (Vor-)Urteil beschränkt. Und danach ist Netanjahu nunmal ein ultrarechtsnationalkonservativer Hardliner. Daran könnte vermutlich selbst die bedingungslose Räumung ganz Jerusalems nichts ändern.

Und nun stehen gedemütigte Palästinenser vor einem Scherbenhaufen. Das impliziert, daß da vorher etwas existiert hätte, das jetzt zertrümmert wurde. Ja, was denn? Lieber Herr Bertram, die Demütigung liegt mittlerweile über 60 Jahre zurück. Seitdem hat sich im großen und ganzen nicht allzu viel getan, was die nicht vorhandene Staatlichkeit Palästinas betrifft.
Abbas wurde persönlich gedemütigt, soviel steht fest allerdings nicht von Israel, sondern von den Bekloppten der Hamas, die ihm Gaza wegrandaliert haben. Interessanterweise wird dieser Verlust von Territorium, das im übrigen wesentlich größer ist als das, was "intensiviert" raffgierigen jüdischen Siedlern während der letzten Jahre zum Opfer gefallen ist, nicht als "Landnahme" bezeichnet.

Der Autor konstatiert: Die einzige Hoffnung für verbitterte Palästinenser wäre Druck auf Israel. Diese Schlußfolgerung ist so schön logisch, daß sie noch einmal wiederholt werden sollte: Abbas bewegt sich keinen Zentimeter; zumindest nicht nach vorn, denn mit seinen Vorbedingungen hat sich der palästinensische Standpunkt durchaus bewegt nur in die falsche Richtung. Wir haben seit Netanjahu die absurde Situation, daß eine Seite einseitig Konzessionen eingeht und noch dazu unaufgefordert ein umfangreiches wirtschaftliches Hilfsprogramm für die andere Seite durchführt, das dem Westjordanland in Zeiten der globalen Wirtschaftskriese ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent verschafft hat. Und auf der anderen Seite haben wir jemanden, der sich nicht nur nicht auf seinen von ihm nicht anerkannten Verhandlungspartner zubewegt, sondern im Gegenteil sich noch von ihm entfernt. Und Bertram ist der Meinung, man müsse jetzt Druck auf den Entgegenkommenden ausüben? Nach dieser Logik hätte er vermutlich auch 1938 von Chamberlain ein stärkeres Entgegenkommen erwartet und notfalls die USA aufgefordert, ein bißchen mehr Druck auf die Briten auszuüben. Klar, wer am lautesten schreit, hat recht.

Aber schließlich sind Netanjahus Gesten am Ende nur Scheingesten (das zumindest lehrt uns Prof. Udo Steinbach, wie ich hoffentlich demnächst ausführen werde). Daher ist das Memorandum bestenfalls "löcherig". Außerdem werden Herrn Bertram persönlich neue illegale Siedlungen aus der Westbank gemeldet. Dies Netanjahu zum Vorwurf zu machen, ist natürlich völlig legitim. Ist ja auch normal, der Bundeskanzlerin vorzuwerfen, wenn ein Deutscher in Polen eine Bank ausraubt.

Den Höhepunkt des Realitätsverlusts stellt jedoch die Behauptung dar, das Bekenntnis der Koalition zum jüdischen Staat Israel stütze die Hardliner in Israel, die den arabischen Israelis die Bürgerrechte entziehen wollen. Toll! Das muß man sich mal auf der Zungen zergehen lassen. Da phantasiert sich der Herr Bertram also eine erwähnenswerte politische Kraft in Israel herbei, die die arabischen Israelis entrechten will, phantasiert sich diese Phantasiekraft gleich noch in eine relevante politische Position und setzt dann noch die Phantasie oben drauf, daß diese Phantasiekraft mit phantastischem Einfluß auf die israelische Politik allen Ernstes etwas darauf gibt, daß Frau Merkel und Herr Westerwelle im Koalitionsvertrag der deutschen Regierung den Staat Israel als "jüdisch" bezeichnen als ob das bedeuten würde, daß Nichtjuden rausgeschmissen werden dürften. Nur wird Israel bereits in der Gründungsurkunde als jüdischer Staat bezeichnet - gleichzeitig wird allen nicht-jüdischen Bürgern volle Gleichheit in allen Belangen vor Recht und Gesetz zugesichert.

Hui, da müssen Merkel und Westerwelle aufpassen. Hoffentlich hebt der deutsche Koalitionsvertrag nicht unversehens und arglos das wichtigste israelische Staatsdokument auf.