Dienstag, 19. Januar 2010

ZEITgemäße Logik: Wenn Abbas nicht will, muß man Netanjahu zwingen

Wieder einmal wagt sich ein ZEIT-Kommentator hervor, um zu erklären, was im Nahen Osten eigentlich falsch läuft. Und wieder einmal steht fest: Wenn's im Friedensprozeß nicht vorangeht, ist Israel Schuld.

Die Einseitigkeit beginnt schon im allerersten Satz: Da wird bemängelt, daß der Gaza-Krieg nichts gelöst und schon gar nicht den Frieden gebracht habe. Das ist unbestritten wahr, allerdings fragt sich, wie man sich das allen Ernstes überhaupt von einem Angriff auf den Gaza-Streifen erhoffen konnte bzw. ihm das gar nachträglich zur Aufgabe machen kann. Die Israelis haben jedenfalls Ende des letzten Jahres keinesfalls versprochen, mit ihrer Militäraktion den Frieden zu bringen. Die Ziele waren offen und klar: Abschreckung wiederherstellen, Bürger gegen Raketenangriffe verteidigen, Hamas vermöbeln. All das ist mehr oder weniger gelungen. Jetzt einen Artikel damit einzuleiten, der Krieg habe die Probleme mit den Palästinensern nicht gelöst, ist so als würde man die Vorstellung des neuen VW-Golf mit dem Satz einleiten: "Den Klimawandel hat der neue Golf bisher nicht aufgehalten". Ja, das stimmt, schön daß das angesprochen wurde.

Im zweiten Satz geht's genauso deppert weiter. Netanjahus Regierung hat sich immer und bei jeder Gelegenheit zu Verhandlungen ohne jegliche Vorbedingungen bereit erklärt, sie hat den Siedlungsbau gestoppt nicht vollständig, das stimmt (zum Beispiel werden angefangene Bauprojekte fortgeführt, und Ostjerusalem wird ausgeklammert), aber immerhin doch umfangreicher als jemals irgendeine israelische Regierung zuvor, inkl. der famosen Friedensregierung Rabins, die die vielgerühmten "Fortschritte in den neunziger Jahren" in die Wege geleitet hat, und sie hat sich öffentlich und unwiderruflich zur Einrichtung eines Palästinenserstaates bekannt. Auch das sucht man in dieser Deutlichkeit bei früheren Regierungen vergebens. Auf der anderen Seite haben wir einen Palästinenserpräsidenten, der sich weigert, mit der israelischen Regierung auch nur zu reden, wenn diese nicht zuvor einen Haufen Bedingungen erfüllt. Auch das ist bisher beispiellos und dazu auch noch ziemlich absurd, denn eigentlich sollte das Ergebnis von Verhandlungen nicht zu deren Bedingung erklärt werden. Das ist nämlich nicht nur unfair, es macht die Verhandlungen auch ziemlich sinnlos.

In diesem Zusammenhang erkennen zu wollen, Israel sehe die Palästinenser nicht als ernsthaften Verhandlungspartner an in einer Situation in der genau umgekehrt der Fall ist, daß die Palästinenser Israel in überhaupt gar keiner Weise als Verhandlungspartner (ob ernsthaft oder eher lustig) anerkennen, das deutet schon auf eine gewaltige Dosis Realitätsverlust hin und läßt insgesamt darauf schließen, daß der Autor seine Bewertungen nicht von tatsächlichen Handlungen und Äußerungen abhängig macht, sondern sich auf sein grundsätzliches (Vor-)Urteil beschränkt. Und danach ist Netanjahu nunmal ein ultrarechtsnationalkonservativer Hardliner. Daran könnte vermutlich selbst die bedingungslose Räumung ganz Jerusalems nichts ändern.

Und nun stehen gedemütigte Palästinenser vor einem Scherbenhaufen. Das impliziert, daß da vorher etwas existiert hätte, das jetzt zertrümmert wurde. Ja, was denn? Lieber Herr Bertram, die Demütigung liegt mittlerweile über 60 Jahre zurück. Seitdem hat sich im großen und ganzen nicht allzu viel getan, was die nicht vorhandene Staatlichkeit Palästinas betrifft.
Abbas wurde persönlich gedemütigt, soviel steht fest allerdings nicht von Israel, sondern von den Bekloppten der Hamas, die ihm Gaza wegrandaliert haben. Interessanterweise wird dieser Verlust von Territorium, das im übrigen wesentlich größer ist als das, was "intensiviert" raffgierigen jüdischen Siedlern während der letzten Jahre zum Opfer gefallen ist, nicht als "Landnahme" bezeichnet.

Der Autor konstatiert: Die einzige Hoffnung für verbitterte Palästinenser wäre Druck auf Israel. Diese Schlußfolgerung ist so schön logisch, daß sie noch einmal wiederholt werden sollte: Abbas bewegt sich keinen Zentimeter; zumindest nicht nach vorn, denn mit seinen Vorbedingungen hat sich der palästinensische Standpunkt durchaus bewegt nur in die falsche Richtung. Wir haben seit Netanjahu die absurde Situation, daß eine Seite einseitig Konzessionen eingeht und noch dazu unaufgefordert ein umfangreiches wirtschaftliches Hilfsprogramm für die andere Seite durchführt, das dem Westjordanland in Zeiten der globalen Wirtschaftskriese ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent verschafft hat. Und auf der anderen Seite haben wir jemanden, der sich nicht nur nicht auf seinen von ihm nicht anerkannten Verhandlungspartner zubewegt, sondern im Gegenteil sich noch von ihm entfernt. Und Bertram ist der Meinung, man müsse jetzt Druck auf den Entgegenkommenden ausüben? Nach dieser Logik hätte er vermutlich auch 1938 von Chamberlain ein stärkeres Entgegenkommen erwartet und notfalls die USA aufgefordert, ein bißchen mehr Druck auf die Briten auszuüben. Klar, wer am lautesten schreit, hat recht.

Aber schließlich sind Netanjahus Gesten am Ende nur Scheingesten (das zumindest lehrt uns Prof. Udo Steinbach, wie ich hoffentlich demnächst ausführen werde). Daher ist das Memorandum bestenfalls "löcherig". Außerdem werden Herrn Bertram persönlich neue illegale Siedlungen aus der Westbank gemeldet. Dies Netanjahu zum Vorwurf zu machen, ist natürlich völlig legitim. Ist ja auch normal, der Bundeskanzlerin vorzuwerfen, wenn ein Deutscher in Polen eine Bank ausraubt.

Den Höhepunkt des Realitätsverlusts stellt jedoch die Behauptung dar, das Bekenntnis der Koalition zum jüdischen Staat Israel stütze die Hardliner in Israel, die den arabischen Israelis die Bürgerrechte entziehen wollen. Toll! Das muß man sich mal auf der Zungen zergehen lassen. Da phantasiert sich der Herr Bertram also eine erwähnenswerte politische Kraft in Israel herbei, die die arabischen Israelis entrechten will, phantasiert sich diese Phantasiekraft gleich noch in eine relevante politische Position und setzt dann noch die Phantasie oben drauf, daß diese Phantasiekraft mit phantastischem Einfluß auf die israelische Politik allen Ernstes etwas darauf gibt, daß Frau Merkel und Herr Westerwelle im Koalitionsvertrag der deutschen Regierung den Staat Israel als "jüdisch" bezeichnen als ob das bedeuten würde, daß Nichtjuden rausgeschmissen werden dürften. Nur wird Israel bereits in der Gründungsurkunde als jüdischer Staat bezeichnet - gleichzeitig wird allen nicht-jüdischen Bürgern volle Gleichheit in allen Belangen vor Recht und Gesetz zugesichert.

Hui, da müssen Merkel und Westerwelle aufpassen. Hoffentlich hebt der deutsche Koalitionsvertrag nicht unversehens und arglos das wichtigste israelische Staatsdokument auf.

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