Dienstag, 8. September 2009

In dubio pro reo?

Das kommt ganz darauf an, wer der „reo“, der Angeklagte, ist. In so manchem Parteibüro der Linken und so mancher Antifa-Kaschemme ließ man nach der Meldung vom von einem Bundeswehr-Offizier angeordneten Luftschlag auf zwei entführte Tanklaster in Afghanistan am vergangenen Freitag vermutlich schon die Sektkorken knallen. Endlich hat man ein Massaker, das man der Bundeswehr vorwerfen kann und das die Forderung nach einem sofortigen und bedingungslosen Abzug eindrucksvoll unterstreicht. Und wie bei manch anderem „Massaker“ in den letzten Jahres gilt: Nicht was tatsächlich geschah, ist von Belang, sondern allein wer der ausgemachte Täter ist. Handelt sich um den Westen, speziell Israel oder die USA, sind Beweise vor einer Verurteilung gar nicht nötig. Das galt für das sogenannte Massaker von Jenin, und das scheint jetzt auch für die Bundeswehr zu gelten, wenn man sich anschaut, wie sich europäische Spitzenpolitiker und sogar amerikanische Militärs zur Zeit gegenseitig darin überbieten, einen Luftschlag zu verurteilen, über dessen Folgen noch so gut wie nichts bekannt ist.

Selbst die Opferzahlen variieren von 56 (Bundeswehr) bis 135 (afghanische Menschenrechtsorganisationen). Die Washington Post zählt 125 Tote, obwohl sie das gleiche Problem hat, wie alle anderen, die den Angriff untersuchen: Die Leichen wurden fortgeschafft, bevor die erste Bundeswehrpatrouille den Ort des Geschehens erreichte. Folglich stützen sich diese Schätzungen auf Aussagen von Dritten.

Man weiß also weder, wie viele Tote es gegeben hat noch um wen es sich bei den Toten handelt. Trotzdem werden bereits Entschuldigungen eingefordert, ohne zu wissen, ob es etwas zu entschuldigen gibt. Und den Aussagen des verantwortlichen Offiziers, der erklärt, auf der Basis gesicherte Aufklärungsdaten gehandelt zu haben, wird nicht nur ohne ausreichende belastende Indizien mißtraut, die Potsdamer Staatsanwaltschaft prüft sogar bereits, ob ein Ermittlungsverfahren gegen jenen Offizier eingeleitet wird.

Da wird die Entrüstung der Soldaten in Afghanistan verständlich, die zurecht beklagen, sie könnten einfach nichts richtig machen. Offensichtlich wird von ihnen verlangt, einen unmöglichen Krieg zu führen, einen Krieg ohne Opfer und ohne unschöne Bilder.

Immerhin gibt es einen, der zurecht Kritik einstecken muß: Verteidigungsminister Jung. Doch nicht weil er sich völlig zurecht weigert, vorschnell Soldaten für ein Verhalten zu verurteilen, das noch gar nicht belegt ist, sondern wegen der Art, wie er seine Soldaten verteidigt. Warum bedarf es erst eines durchgeknallten afghanischen Provinzgouverneurs, der den Bundeswehrsoldaten vorwirft, daß sie ansonsten immer nur „dasitzen und weinen“, um wichtige Details über den Luftangriff zu erfahren? Zum Beispiel, daß er sich nicht nur weit entfernt vom nächsten Ort, sondern auch noch um 2 Uhr nachts ereignet hat. Da stellt sich berechtigterweise die Frage, wie die angeblich vielen Zivilisten unter den Toten, darunter Frauen und Kinder, zu erklären sind, insbesondere wenn man bedenkt, daß die Tanklaster gerade erst von bewaffneten Taliban gekapert worden waren.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der deutsche Offizier einen Fehler gemacht hat. Doch bevor dies nicht bewiesen ist, sollte für ihn wie für jeden anderen, der im Verdacht einer Straftat steht, der Grundsatz gelten, daß im Zweifelsfall zu seinen Gunsten entschieden wird. Von Leuten, die ihre Beurteilung von Verbrechen davon abhängig machen, welcher Ideologie der Täter angehört und beispielsweise nicht müde werden, das Vorgehen Hugo Chavez’ gegen die Opposition in Venezuela zu rechtfertigen, kann man das kaum erwarten, wohl aber von europäischen Außenministern.

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